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geschlechtsneutral?
Verfasst: Mi 17.Sep 2008, 23:29
von sunspot
wie war/ist das bei euch - verwendet ihr in wissenschaftlichen arbeiten eine geschlechtsneutrale schreibweise? ich will das eigentlich nicht, da ich der meinung bin, dass es den lesefluss stört, aber wie soll ich das problem lösen? einfach im vorwort der arbeit schreiben, dass ich es so handhabe und warum? oder ist es auf der germanistik üblich, auf eine geschlechtsneutrale schreibung zu achten?
Verfasst: Mi 17.Sep 2008, 23:56
von emu
Geschlechtersensible Sprache sollte für alle Texte selbstverständlich sein, insbesondere bei wissenschaftlichen Arbeiten in den Geistes- und Sozialwissenschaften ist sie lege artis. Das ist keine lästige Bürde, sondern ein Grundprinzip moderner Sprachanwendung. Gekonntes geschlechtersensibles Formulieren hat übrigens oft auch einen semantischen Mehrwert.
Ich denke aber, dass du das Pferd vom falschen Ende aufzäumst; es geht nicht so sehr um Formalismen wie das Binnen-I, das du offensichtlich mit der Störung des Leseflusses meinst, sondern um die Frage, welches Geschlechterbild du mit einem Text beschreiben willst. Je nach Situation wird eine Vermeidung (wie Lehrkörper), die Ausschreibung (Schülerinnen und Schüler) oder eine neutrale Form (Studierende) sinnvoll sein. Mit einer differenzierten Ausdrucksweise zeigst du ja nicht zuletzt auch, dass du in der Lage bist, präzise und adressatengerecht zu schreiben; das sollte an der Germanistik tatsächlich üblich sein.
Persönlich vermeide ich das Binnen-I, abgesehen von mengenkritischen Textsorten, und denke, dafür gute Gründe zu haben. Wenn du es einsetzen möchtest, achte darauf, dass nicht mechanisch Formen ersetzt werden, sondern der Text stimmig und gut lesbar ist.
Verfasst: Do 18.Sep 2008, 10:29
von irene
das mit dem lesefluss ist außerdem reine gewöhnungssache. ich stolpere mittlerweile wenn ich in einem text "studenten" statt "studierende" oder "studentInnen" lese.
das binnen-I stört mich nicht wirklich, im gegenteil, aber ich finde es auch schöner, andere neutrale begriffe zu verwenden, wenn sie sich anbieten.
Verfasst: Do 18.Sep 2008, 10:37
von Gabi
Emu's Aussage +1 (ja, ich wurde in den letzten zwei oder drei Jahren fleißig bekehrt)
Allerdings muss ich folgendes Anfügen:
Als selbst faule Studierende sei gesagt, dass es imho darauf ankommt, bei wem die Arbeit abzugeben ist. Ist es ein Lehrkörperteil älteren Baujahrs, kann man idR auf Splitting udgl. verzichten. Aber wir sind ja auch keine Schülerinnen und Schüler mehr, dass wir unbedingt den Weg des geringsten Widerstands gehen müssen.
"Gendersensible Sprache" - wie emu das so fein nennt - war mir am Anfang auch zutiefst zuwider. Auch das ganze Frauenbevorzugungs-Ding, das jetzt überall rennt. Aber mit der Zeit, wenn man sich dem Ende seines Studiums nähert und darüber nachdenkt, jenseits von Studentenjobs arbeiten zu gehen, kommt einem langsam aber sicher, dass man als Frau das einzig gebärfähige Geschlecht ist und damit vom Arbeitgeber gern mal als weniger ausfallsicher angesehen wird als ein Mann. Es wäre eine wunderschöne Welt, wenn es so funktionieren würde, wie ich mir das noch vor zwei oder drei Jahren vorgestellt hab: Indem man mit Selbstverständlichkeit davon ausgeht, dass alles passt, wird auch alles passen. Ganz so isses halt leider nicht. Und wenn man mal sensibilisiert ist dafür, dann machen Wörter wie "Heteronormativität" und "Gender" wesentlich mehr Sinn, als man unwissend und naiver Weise zuerst vielleicht annehmen möchte.
Drum: Ja, es is mühsam sich umzustellen auf geschlechtsneutrale Formen und dgl. Aber m.E. beweist die Tatsache, dass man es macht, dass man sich mit der Zeitgeschichte auseinandersetzt und dem Konservativismus die kalte Schulter zeigt. Das funktioniert allerdings auch in einer gemäßigten Form und muss nicht dem Extremismus (frau/mensch statt "jemand" usf.) huldigen, der von Seiten der Spitze der Gender-Bewegung manchmal zu beobachten ist.
Für mich persönlich hat geschlechtssensibles Formulieren btw. nichts mit Feminismus zu tun, auch wenn ich mit solchen Aussagen die negative Konnotation dieses Wortes unterstütze. Ich find aber eben Begriffe wie "Feminismus" als Wort für Gleichberechtigung genauso diskriminierend wie das still herrschende Patriarchat.
Ich seh die Diskussionen grad vor meinem geistigen Auge ausufern, drum nur ein kurzes Abschlusswort zum eigentlichen Thema:
Beschreib, was dein eigentliches Problem damit ist, dann kann man dir vielleicht auch helfen, wie du angenehmer formulieren kannst.
Verfasst: Do 18.Sep 2008, 16:53
von sunspot
mein problem ist, dass die arbeit eigentlich fertig ist, ich aber im schreibfluss eigentlich gar nicht wirklich daran gedacht habe, ob ich jetzt geschlechtsneutral formuliere oder nicht, deshab muss ich jetzt alles "ausbessern". bei mir kommt irrsinnig oft rezipient/rezipienten vor - kein problem, das wird zu rezepientIn und rezipientInnen. aber was z.b. bei kunden. kundinnen und kunden will ich nicht schreiben (zu lange) und kundInnen schaut blöd aus.
Verfasst: Do 18.Sep 2008, 17:10
von emu
Fertigen Texten einen geschlechtersensiblen Stempel aufzudrücken ist meist schwierig und nicht selten wenig sinnvoll.
Ich weiß nicht, auf welchem theoretischen Fundament deine Arbeit steht, Rezipient ist aber im Allgemeinen als terminus technicus zu sehen, der nicht ohne weiteres etwa zu »Rezipierende« umgeschrieben werden kann. Fachausdrücke sind teilweise aus den üblichen Regelungen auszunehmen.
Kunden ist ohnehin ein etwas unspezifisches Wort und sollte in vielen Situationen vermieden werden. Schlimmstenfalls ist es dann eben die Kundschaft, wobei es in diesem Fall keine Patentlösung zu geben scheint.
Verfasst: Do 18.Sep 2008, 17:22
von sunspot
im kontext passt kunden schon.
ich hätte auch nicht rezipierende geschrieben, sondern rezipientInnen?!
Verfasst: Fr 19.Sep 2008, 7:46
von In-sei-da
Gabi hat geschrieben:Emu's Aussage +1 (ja, ich wurde in den letzten zwei oder drei Jahren fleißig bekehrt)
Ich ned. Ich mache es so, wie ich es richtig finde und wie ich glaube, dass es allen einigermaßen gerecht werden könnte.
Und wenn das bei einigen ned ankommt, dann bin ich halt schon ein alter, nichtumdenkenkönnender Sack.
Gabi hat geschrieben:Ist es ein Lehrkörperteil älteren Baujahrs, kann man idR auf Splitting udgl. verzichten.
Das stimmt wohl. Aber die Lehrkörper sind uU nicht mal sooooo unflexibel, als dass sie nicht auf die Schreibung sehr wohl achten, was auch immer sie davon halten mögen. Wer, wenn ned Germanistinnen und Germanisten und da besonders der Lehrkörper, sollten´s richtig machen?
Deinen Satz habe ich aber rausgegriffen, weil daran ein Beispiel gut zu erklären ist, dass ich affig finde: die Umschreibung von Worten, die es so eigentlich ned in der Sprache gab. Klingt böhmisch?
Ich will auf "man" raus! Wenn man statt "man" "mensch" schreibt, um alle zu meinen, dann finde ich das in höchstem Maße unpassend. Immerhin will man ja wohl Gleichberechtigung und die erreicht man mE ned, wenn man jemandem was wegnimmt (dem "man" ein "n"), sondern in dem man gleichzieht.
Wobei ich allerdings dann auch feststelle, dass dieses "man" ersetzen ned konsequent durchgesetzt wird. Ist das schon jemenschdem anderen aufgefallen?
Verfasst: Fr 19.Sep 2008, 8:21
von cosmogonos
In-sei-da hat geschrieben:Wobei ich allerdings dann auch feststelle, dass dieses "man" ersetzen ned konsequent durchgesetzt wird. Ist das schon jemenschdem anderen aufgefallen?
nachdem zwanghaftes splitting ohnehin ein von A bis Z an den haaren herbeigezogenes zwangskonstrukt ist, ist dies doch keine überraschung, thomas
Verfasst: Fr 19.Sep 2008, 8:28
von In-sei-da
cosmogonos hat geschrieben: . . ., ist dies doch keine überraschung, thomas
Ich habe Angst.
Wenn mein Name nu gesplittet würde, müsste mensch da ned auch "Thopas" schreiben? Immerhin habe ich ´ne "oma" in meinem Namen.
Verfasst: Fr 19.Sep 2008, 8:42
von cosmogonos
och, die meisten splitting-befürworterInnen sind zufrieden, wenn die weibliche part genannt wird. das (die?) männliche pendantIn ist durchaus für einige jahrzehnte (fällt irgendwem ein weibliches gegenstück zu jahrzehnt ein? vl. telefonat mit der besten freundin?) vernachlässigbar, immerhin hat es schon einen vorsprung/eisprung. du stehst also auf der sicheren seite.... äääh ... /In.
Verfasst: Fr 19.Sep 2008, 14:41
von Gabi
Ich hab "jemensch" nicht erst ein Mal lesen dürfen. Sucht nach Texten zum Thema "Polyamorie" und ihr werdet wohl zwangsläufig drüberstolpern.
Verfasst: Fr 19.Sep 2008, 15:14
von gedankenreich
das mit "man"-"mensch" ist ja wohl das allerlächerlichste!!
"man" ist ja nicht gleich "mann". aaaaaaaaaaaaaah *auszuck*
kann sich bitte jemand melden, der mir erklärt, warum MAN das nun ändern sollte, damit sich alle gleichberechtigt fühlen?
Verfasst: Fr 19.Sep 2008, 15:20
von cosmogonos
gedankenreich hat geschrieben:kann sich bitte jemand melden, der mir erklärt, warum MAN das nun ändern sollte, damit sich alle gleichberechtigt fühlen?
Verfasst: Fr 19.Sep 2008, 15:27
von emu
Man-Sätze sind doch im Allgemeinen ohnehin entweder ironisch gemeint, dann ist es egal, oder stilistisch eher fragwürdig und können problemlos durch echte Passivkonstruktionen ersetzt oder um die in Frage kommende Personen im Subjekt ergänzt werden, teilweise auch durch direkte Anreden. Insofern ist dieser Nebenschauplatz nur von eher untergeordneter Bedeutung.
Bei der Polyamorie und in feministischen und queertheoretischen Texten sind solche Formen spezifische Marker und in ihrer Funktion textsortenspezifisch und pragmatisch, insoferne also könnte man von fachsprachlichen Spezifika sprechen, die nur innerhalb der jeweiligen Disziplin, nicht aber von außen, kritisierbar sind.
Nebenbei gesagt ist der Cutting-Edge-Feminismus ohnehin schon seit langem bei der Dekonstruktion der Geschlechter angelangt, die linke Avantgarde benutzt den Unterstrich (Student_innen), in diesem Zwischenraum sollen Transgender oder Intertexuelle Platz finden. Als Sprachexperiment ist zumindest ein interessanter Ansatz und nur insofern lächerlich, als die dergestalt angehauchten Publikationen meistens den performativen Widerspruch als unbewusstes Stilmittel nutzen.
Übrigens, Sprache lebt und Präskriptivismus ist böse.
Verfasst: Fr 19.Sep 2008, 16:24
von irene
haha! es macht umso mehr spaß manchmal ein "mensch" oder "frau" reinzuwerfen, wenn sich alle so drüber aufregen.
Verfasst: Fr 19.Sep 2008, 16:24
von fred
cosmogonos hat geschrieben:gedankenreich hat geschrieben:kann sich bitte jemand melden, der mir erklärt, warum MAN das nun ändern sollte, damit sich alle gleichberechtigt fühlen?
zum thema: ich find das alles mist.
Verfasst: Fr 19.Sep 2008, 16:36
von Frau Mag. phil. in spe
fred hat geschrieben:
ich find das alles mist.
ich auch und teilweise schäme ich mich sogar für meine weiblichen genossen wenn sie so einen aufstand machen
Verfasst: Fr 19.Sep 2008, 17:39
von Gabi
Weibliche Genossen, die Aufstand machen sind aber auch wichtig. Sonst wärst du nicht da wo du heute bist. Mit Sicherheit nicht.
Imho muss irgendjemand immer übertreiben, damit man den Kontrast zur eigentlich als "normal" geltenden Übertreibung sieht. Ich finds mittlerweile auch übertrieben, wenn man sich in einem rational nicht nachvollziehbarem Maß über geschlechtersensibles Schreiben aufregt. Auch wenn ichs andererseits nachvollziehen kann.
Wie dem auch sei: Stillstand is so oder so nichts gutes. Sprache entwickelt sich auch von selbst weiter. Und zum "von selbst" gehören nunmal auch gender-, queer- und whatsoevertheoretische Ansätze dazu. Die Theorien sind da, also wirken sie auf die Sprache. Das zu verleugnen oder abzulehnen is so sinnvoll wie Anglizismen aus der Sprache streichen zu wollen. Da könnte man ja auch gleich hergehen und Wörter wie "Tisch" und "Fenster" abschaffen.
Verfasst: Fr 19.Sep 2008, 17:46
von M
Frau Mag. phil. in spe hat geschrieben:fred hat geschrieben:
ich find das alles mist.
ich auch und teilweise schäme ich mich sogar für meine weiblichen genossen wenn sie so einen aufstand machen
*unterschreib*
edit: Natürlich war die Frauenbewegung wichtig, aber ich erkenne einfach die angebliche Sinnhaftigkeit der Sprachveränderung nicht an. Für mich sind die Erklärungen nicht einleuchtend. Und damit kann ich Binnen-I und dgl. nichts abgewinnen.